Für Qun Ren zählt jede Minute. Die Empa-Forscherin und ihr Team entwickeln derzeit ein Diagnose-Verfahren, mit dem eine lebensgefährliche Blutvergiftung mit Staphylokokken-Bakterien im Eiltempo erkennbar wird. Denn eine derartige Staphylokokken-Sepsis verläuft in bis zu 40 Prozent der Fälle tödlich. Begonnen hat eine Infektion mit den kugelförmigen Bakterien möglicherweise als lokale Hauterkrankung oder Lungenentzündung. Sind die Staphylokokken im Verlauf einer Sepsis einmal in die Blutbahn ausgeschwärmt, drohen schwere Komplikationen. Es gilt nun, die Erreger schnellstmöglich zu identifizieren und passende Antibiotika für die Behandlung zu wählen. Ausschlaggebend für die Überlebenschancen der Betroffener ist dies insbesondere, da Staphylococcus aureus-Stämme unempfindlich gegen verschiedene Antibiotika sein können (siehe Box). «Wenn für ein Diagnoseverfahren die Bakterien in einer Blutprobe erst vermehrt und angereichert werden müssen, geht wertvolle Zeit verloren», erklärt Qun Ren, Gruppenleiterin am «Biointerfaces»-Labor der Empa in St. Gallen. Qun Ren und Teamkollege Fei Pan suchten daher gemeinsam mit Forschenden der ETH Zürich nach einem Weg, den langwierigen Zwischenschritt zu umgehen.
Aus dem Blut gefischt
Nun hat das Team ein Verfahren mit magnetischen Nanopartikeln entwickelt, die sich an Staphylokokken binden können. Über ein Magnetfeld lassen sich die Bakterien so spezifisch nachweisen. In einem nächsten Schritt wird die Empfindlichkeit auf Antibiotika mit einem Chemilumineszenz-Verfahren analysiert. Sind resistente Bakterien im Reagenzglas, strahlt die Probe Licht ab. Lassen sich die Keime hingegen mit Antibiotika abtöten, bleibt es dunkel im Reaktionsgefäss. «Alles in allem dauert der Sepsis-Test rund drei Stunden – im Vergleich zu mehreren Tagen bei einer klassischen Anzucht von Bakterienkulturen», so Fei Pan.
Gefährliches Leuchten
Ein weiterer unangenehmer Vertreter aus dem Bakterienreich ist Pseudomonas aeruginosa. Das Stäbchenbakterium kann diverse Krankheiten hervorrufen, darunter Infektionen des Harntrakts beispielsweise über einen Harnkatheter bei einem Spitalaufenthalt. Derartige Infektionen können sich in der Folge zu einer gefährlichen Sepsis entwickeln. Und auch diese Erreger sind häufig resistent gegen diverse Antibiotika.
Hier kommt ein weiterer Vorteil der Magnet-Nanopartikel zum Einsatz: Das Verfahren kann ähnlich einem Baukasten auf weitere Bakterienarten massgeschneidert werden. Auf diese Weise konnten die Empa-Forschenden einen schnellen «Sepsis-Sensor» mit magnetischen Nanopartikeln entwickeln. In Proben mit künstlichem Urin identifizierte das Verfahren die Bakterienart und ermittelte mögliche Resistenzen gegen Antibiotika über eine Chemilumineszenz-Reaktion.
Bislang haben die Forschenden den «Magnet-Nanopartikel-Baukasten» für Sepsis und Harnwegsinfektionen mit Laborproben evaluiert. «In einem nächsten Schritt möchten wir die Sepsis-Tests gemeinsam mit klinischen Partnern validieren, indem wir Proben von Patientinnen und Patienten auswerten», so Empa-Forscherin Qun Ren.
Globale Antibiotikakrise
Weltweit fordert die sinkende Wirksamkeit von Antibiotika jährlich über eine Millionen Tote. So ist auch ein Teil der Staphylokokken nicht mehr mit gängigen Antibiotika zu bekämpfen, da sie Resistenzen ausgebildet haben. Besonders besorgniserregend ist der Anteil der multiresistenten Erreger. Bereits jetzt wird die weltweite Antibiotika-Resistenz von Krankheitserregern als «Stille Pandemie» bezeichnet. Je nach Land sind beispielsweise in Europa über 30% (Portugal, Italien) und rund 1% (Skandinavien) der Staphylokokken gegen eine Vielzahl von Antibiotika resistent. In der Schweiz sind es derzeit 4.7 %, besagen Zahlen des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) aus dem Jahr 2021. Auch das Bakterium Pseudomonas aeruginosa ist gegen viele Antibiotika unempfindlich und kann zu schweren Lungenentzündungen, Harnwegsinfekten und einer Sepsis führen. Bei der Diagnose einer Infektion kann daher die Geschwindigkeit und Präzision, mit der ein Keim identifiziert wird, entscheidend für das Überleben der Infizierten sein.