D-Konstanz | Forschende lösen das mehr als 25 Jahre alte Rätsel, wie Proteine in der Zelle sortiert werden. Ein unter dem Kürzel NAC (engl.: „nascent polypeptide-associated complex“) bekannter Proteinkomplex dient als „Torwächter“ bei der Eiweißsynthese, der den Transport von Proteinen innerhalb der Zelle reguliert. Der molekulare Mechanismus hinter dieser Funktion wurde nun durch Konstanzer Zell- und Molekularbiolog*innen im Rahmen eines internationalen Kooperationsprojekts aufgeklärt.
Für die Aufrechterhaltung unserer Zellfunktionen ist es von elementarer Wichtigkeit, dass Proteine noch während ihrer Synthese zu verschiedenen Zielen innerhalb der Zelle – analog zu den Organen unseres Körpers als „Zellorganellen“ bezeichnet – transportiert werden. Doch wie wird dabei zwischen verschiedenen Transportzielen unterschieden und verhindert, dass Proteine massenweise zu den falschen Organellen gelangen? Einem internationalen Forschungsteam ist es nun gelungen, die Steuerung dieses komplexen Vorgangs für einen wichtigen Fall – den Transport entstehender Proteine zu einem Membrannetzwerk der Zelle, dem sogenannten Endoplasmatischen Retikulum – auf molekularer Ebene aufzuklären.
In ihrer aktuellen Veröffentlichung in der Zeitschrift Science konnten die Forschenden zeigen, dass ein unter Fachleuten als NAC bekannter Proteinkomplex, der vor mehr als 25 Jahren entdeckt wurde, hierbei eine entscheidende Rolle spielt: Wie ein Torwächter sorgt NAC dafür, dass ausschließlich Proteine mit dem Endoplasmatischen Retikulum als Ziel an den Proteintransporter SRP (engl.: „signal recognition particle“) übergeben werden. Dieser vermittelt anschließend den Transport der „Fracht“ zum vorgegebenen Zielort. Hat ein entstehendes Protein hingegen einen anderen Zielort als das Endoplasmatische Retikulum, verweigert der Torwächter NAC dem Proteintransporter SRP den Zugang.
Proteine am laufenden Band
Mit dem Erbgut als Bauplan werden in den Zellen unseres Körpers jede Minute abertausende von neuen Proteinen hergestellt. Die zellulären „Fabriken“, in denen diese Proteinproduktion stattfindet, sind die sogenannten Ribosomen. Durch sie werden einzelne Aminosäuren – die Bausteine der Proteine – zu langen Aminosäure-Ketten zusammengesetzt. Die so entstehenden Proteine können später verschiedenste Funktionen übernehmen und haben dementsprechend auch unterschiedliche Bestimmungsorte innerhalb der Zelle. Geeignete Sortiermechanismen sorgen daher oft bereits während der Proteinproduktion dafür, dass die Eiweiße ihr jeweiliges Ziel innerhalb der Zelle zuverlässig erreichen.
Bisher war bekannt, dass zwei Proteinkomplexe, die zuvor genannten NAC und SRP, beim zielgerichteten Transport von entstehenden Proteinen zum Endoplasmatischen Retikulum eine wichtige Rolle spielen. Das SRP ist dabei das eigentliche „Transportprotein“, das den Kontakt der entstehenden Proteine samt Ribosom zum Endoplasmatischen Retikulum vermittelt. Es erkennt dabei ein spezifisches Transport-Signal, das in dem neu-synthetisierten Protein kodiert ist. Es gibt jedoch ein Problem: SRP bindet auch unspezifisch an Ribosomen, die kein Signal für das Endoplasmatische Retikulum aufweisen.
„Unkontrolliert würde SRP mit jedem nächstbesten Ribosom eine Bindung eingehen und es dann zum Endoplasmatischen Retikulum transportieren, egal ob gerade ein Protein mit diesem Ziel produziert wird oder nicht. Dann gäbe es unzählige Fehllieferungen, die die Funktion und Lebensfähigkeit der Zelle stark beeinträchtigen würden“, beschreibt Prof. Dr. Elke Deuerling, Leiterin der aktuellen Studie und Professorin für Molekulare Mikrobiologie an der Universität Konstanz, das Problem. Es muss also eine Kontrollinstanz geben, die genau das verhindert – der Torwächter NAC.
Dem molekularen Mechanismus auf der Spur
Wie genau NAC auf molekularer Ebene verhindert, dass SRP unspezifisch an alle Ribosomen bindet, und stattdessen dafür sorgt, dass nur die richtigen Ribosomen zum Endoplasmatischen Retikulum transportieren werden, war bisher unklar. Die Konstanzer Biolog*innen gingen dieser Frage daher in ihrer aktuellen Studie zusammen mit Kolleg*innen der ETH Zürich (Schweiz), des MRC Laboratory of Molecular Biology (LMB; Cambridge, UK) und des California Institute of Technology (Caltech; Pasadena, USA) auf den Grund.
Sie stellten hierzu zunächst die Vorgänge in der Zelle nach, indem sie Ribosomen zusammen mit NAC und SRP im Reagenzglas zur Reaktion brachten. Anschließend wurde das Gemisch bei unter -150°C schockgefroren und die Probe elektronenmikroskopisch untersucht – eine Methode, die als Kryoelektronenmikroskopie bezeichnet wird. Auf diese Weise konnten die Strukturbiologen Dr. Ahmad Jomaa und Dr. Viswanathan Chandrasekaran, Ko-Autoren der Studie, aufdecken, wie NAC vor und nach der Frachtübergabe zu SRP an Ribosomen bindet. Dies war ein wichtiger Grundstein für die Aufklärung des Torwächter-Mechanismus, aber der Übergang zwischen den Zuständen blieb unklar.
„Der Übergang ist ein hochdynamischer Prozess, der mittels Kryoelektronenmikroskopie nicht sichtbar gemacht werden kann“, erklärt Dr. Martin Gamerdinger, einer der Erstautoren der Studie und ebenfalls Biologe an der Universität Konstanz. Um diesen Prozess zu verstehen, führten er und sein Team, die Doktorand*innen Annalena Wallisch und Zeynel Ulusoy, hochauflösende biochemische Bindungsstudien durch, die den Interaktionsmechanismus von NAC auf Ribosomen in Abhängigkeit von einem synthetisierten Protein im Detail aufdeckten.
NAC als Torwächter
Tatsächlich gelang es den Forschenden mithilfe dieser Methode und computergestützten Rekonstruktion der 3D-Strukturen sowie Versuchen von Dr. Hao-Hsuan Hsieh zur Bindungsstärke zwischen den beteiligten Komponenten, die Funktionsweise von NAC auf molekularer Ebene zu entschlüsseln. Basierend auf ihren Ergebnissen konnten sie einen detaillierten Mechanismus für dessen Sortierfunktion nachzeichnen.
Demnach bindet NAC an das Ribosom – und zwar an den Abschnitt, an dem das entstehende Protein die „Proteinfabrik“ verlässt. Wie ein Torwächter setzt sich ein Teil von NAC schützend vor diesen Ausgang, den sogenannten ribosomalen Tunnel, und verwehrt SRP den Zugang zum Ribosom und dem darin entstehenden Protein. Der Zugang wird nur freigegeben, wenn im Laufe der Proteinsynthese eine Transportsignalsequenz für das Endoplasmatische Retikulum – kodiert im entstehenden Protein – den Tunnel verlässt. NAC erkennt dieses Signal und ändert dabei seine Position auf dem Ribosom. Der Ausgang des ribosomalen Tunnels wird dadurch freigegeben und SRP hat nun die Möglichkeit, an den Tunnelausgang des Ribosoms anzudocken. Dabei wird es über einen „Greifarm“, die so genannte UBA-Domäne, aktiv vom NAC an das Ribosom rekrutiert. Nach SRP-Bindung und Signalsequenzübergabe wird dann der Transport vom Ribosom zusammen mit dem entstehenden Protein zum Endoplasmatischen Retikulum eingeleitet.
„Unsere Studie zeigt die molekulare Funktion von NAC als Torwächter, der den Zugang von SRP zum Ribosom nur für diejenigen entstehenden Proteine vermittelt, deren Ziel das Endoplasmatische Retikulum ist“, fasst Prof. Dr. Elke Deuerling diesen fundamentalen Steuerungsmechanismus zusammen. Sie ist sich mit ihren internationalen Kooperationspartnern Prof. Dr. Nenad Ban (ETH Zürich, Schweiz), Prof. Dr. Shu-ou Shan (Caltech, USA) und Prof. Dr. Ramanujan Hegde (MRC-LMB, UK) einig: „Zukünftige Studien werden zeigen müssen, ob NAC darüber hinaus noch weitere Steuerungsfunktionen am ribosomalen Tunnel übernimmt.“
Faktenübersicht:
- Originalpublikation: A. Jomaa, M. Gamerdinger, H.-H. Hsieh, et al. (2022) Mechanism of signal sequence handover from NAC to SRP on ribosomes during ER-protein targeting. Science; DOI: 10.1126/science.abl6459
- Jahrzehntealtes Rätsel gelöst: Internationales Forschungsteam aus Deutschland, Schweiz, England und den USA klärt molekularen Steuerungsmechanismus der Sortierung entstehender Proteine am ribosomalen Tunnel auf.
- NAC (engl.: „nascent polypeptide-associated complex“) dient am ribosomalen Tunnelausgang als „Torwächter“ und vermittelt den Kontakt zu einem geeigneten Transportprotein (hier SRP; engl.: „signal recognition particle“) nur für solche entstehenden Proteine, deren Zielorganelle das Endoplasmatischen Retikulum ist.
- Beteiligte Institutionen: Universität Konstanz (Deutschland), ETH Zürich (Schweiz), MRC Laboratory of Molecular Biology (Cambridge, UK) und California Institute of Technology (Pasadena, USA)
- Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG, SFB 969), Schweizerischer Nationalfonds (SNF), Rössler Preis (ETH Zürich), Ernst Jung-Preis für Medizin (Jung-Stiftung) und Otto Naegeli-Preis (Bonizzi-Theler-Stiftung), National Institutes of Health (NIH) und National Science Foundation (NSF), UK Medical Research Council (MRC), Wellcome Trust, Agouron Institute und Louis-Jeantet-Stiftung
(Quelle Universität Konstanz Pressemeldung, 22.02.2022)