Typische Herausforderungen eines start-ups, um ein Medizinprodukt auf den Markt zu bringen

Karina Candrian ist Mitbegründerin von Effectum Medical AG ©Effectum Medical AG

CH-Olten I Karina Candrian kann auf mehr als zwei Jahrzehnte Erfahrung in der Unternehmensberatung im Gesundheitswesen und der Geschäftsentwicklung für MedTech-Unternehmen zurückblicken. Im Jahr 2017 war sie Mitbegründerin von Effectum Medical, das ein ausgelagertes Qualitäts Management System anbietet und als Inverkehrbringer für Medizinprodukte fungiert. Darüber hinaus ist Karina Candrian Mitinhaberin des Healthcare Beratungsunternehmens Medicalboard und ist als Startup-Coach bei Innosuisse tätig. Im BioLAGO-Interview klärt Frau Candrian über die Herausforderungen von start-ups in der Medizintechnikbranche auf.

Warum haben Sie Effectum Medical gegründet?
Vor einigen Jahren war ich Teil des Teams des ETH-Spin-offs Degradable Solutions. Das Unternehmen entwickelt und produziert resorbierbare Implantate. Ich habe dort aus erster Hand erfahren, welche Herausforderungen es mit sich bringt, ein MedTech-Produkt auf den Markt zu bringen. Meine Mitbegründerin Nila-Pia Rähle, die ebenfalls viel Erfahrung im start-up Bereich von Medizintechnikunternehmen besitzt, hat ähnliche Beobachtungen gemacht. Oftmals fehlt das Know-How entlang der Prozesskette von der ersten Idee bis zur erfolgreichen Zulassung. Deshalb haben wir uns entschieden, in diesem Bereich eine Lösung anzubieten, damit Innovationen schneller und kostengünstiger auf den Markt kommen als das teilweise heute der Fall ist.

Was ist besonders wichtig für ein start-up während der Entwicklungsphase?
Dreh- und Angelpunkt ist die Dokumentation. Jedes MedTech-Startup muss jeden einzelnen Entwicklungsschritt eines Produkts sowie seine Spezifikationen in einem Qualitätsmanagementsystem (QMS) dokumentieren.
Wir stellen fest, dass start-ups sich oft lediglich ein paar Notizen zu den Prototypen machen, weil sie die Dokumentationspflichten unterschätzen. Ihnen ist nicht bewusst, dass sie einen detaillierten Prüfplan und ausführliche Prüfberichte benötigen. In gewisser Weise ist das verständlich, da sie zwar mit wissenschaftlichen Arbeitsweisen vertraut sind, ihnen aber das Wissen um eine MDR-konforme Dokumentation fehlt. Wenn diese Informationen erst im Nachhinein zusammengetragen werden müssen, verlieren sie wertvolle Zeit oder müssen sogar bestimmte Tests wiederholen.

Wie können start-ups während dieser frühen Entwicklungsphase unterstützt werden?
Junge Unternehmen können versuchen, Ihr eigenes QMS aufzubauen, in dem Sie das entsprechende Know-How in-sourcen oder es mit Hilfe von Beratern implementieren. Wir finden, dass beides zeitaufwändig und kostenintensiv ist und Ressourcen in einer frühen Phase absorbiert, die nicht zur eigentlichen Kernkompetenz des Unternehmens gehört. Deshalb haben wir uns entschlossen eine einfaches „Plug- and Play“ QMS anzubieten, in dem Innovatoren ab Tag eins alle notwendigen Informationen haben um konform mit den regulatorischen Anforderungen zu entwickeln.

Sie treten auch als legaler Hersteller auf, was bedeutet das?
Dies ist eine Art Schnittstelle zwischen Hersteller und Markt. Der legale Hersteller gewährleistet die Produktqualität, die Sicherheit und die Einhaltung der Vorschriften. Außerdem ist der legale Hersteller für die Überwachung nach dem Inverkehrbringen, die Bearbeitung von Beschwerden und die Vigilanz verantwortlich und haftet für das Produkt. Auch hier ist erneut die Idee, dass der Kunde sich auf seine Kernkompetenzen fokussieren kann. Während der Entwicklungsphase sind das Elemente wie Innovationsprozesse und Engineering, während des Markteintrittes geht es nun darum, ein nachhaltiges Sales Model zu etablieren, um langfristig zu wachsen.

Zu welchem Zeitpunkt sollte man anfangen, über Marktzugang und regulatorische Themen nachzudenken?
Es ist sehr wichtig, sich darüber frühzeitig Gedanken zu machen, denn der Verwendungszweck und die Eigenschaften eines Produkts bestimmen seine Klassifizierung, was wiederum erhebliche Auswirkungen auf den Zulassungsweg, das Budget und die Markteinführungszeit hat. Ich empfehle, sich diese Gedanken zu machen, sobald eine passende Produktlösung gefunden wurde. Die definierte Regulatory Strategie kann erheblichen Einfluss auf den Zulassungserfolg haben. Auch hier empfehle ich, sich im Zweifel einen halben Tag mit einem Experten auszutauschen, um pro und contra der einzelnen Optionen zu evaluieren. Wir sehen vermehrt Bestrebungen, schnell oder sogar zuerst nach USA zu gehen. Hier sind andere Anforderungen gefragt und man sollte diese sehr genau verstehen, um bei der Zulassung erfolgreich zu sein.

Zu den zentralen Mechanismen der Regulierung von Medizinprodukten gehört, dass Produkte einer Risikoklasse zugeordnet werden. Welche Bedeutung haben diese verschiedenen Risikoklassen für die Vorgehensweise?
Betrachten wir einmal den Unterschied zwischen einer Diagnose und einer Therapieempfehlung. Ein Gerät, das den Ärzten Informationen liefert, auf deren Grundlage sie dann entscheiden, was zu tun ist, hat eine niedrigere Risikoklasse als ein Gerät, das eine Therapieempfehlung abgibt. Aus Kosten- und Zeitgründen könnte es sinnvoll sein, zunächst nur eine Medizinische Software zur Herleitung einer Diagnose zu entwickeln und dann in einer zweiten Produktgeneration eine Software, die eine Behandlungsempfehlung abgibt.

Welche Herausforderungen haben start-ups zu meistern, wenn es in Richtung Markteinführung geht. Welche Erfahrungen haben Sie hier?
Im gesamten Entwicklungsprozess ist es sehr wichtig, die Marktperspektive frühzeitig zu berücksichtigen. Im ersten Schritt sind das Anwender Feedbacks aus Kliniken im näheren Umfeld. Sukzessive sollte der Erkenntnisgewinn aber ausgeweitet werden – dies betrifft die verschiedenen Zielgruppen aber auch die einzelnen Märkte. Hier kann es sinnvoll sein, dass start-ups sich ad-hoc externes Know-How mit dem entsprechenden Zugang zu einem Netzwerk dazu holen, um schneller entwicklungs- und vermarktungsrelevante Informationen zu erhalten. Im gesamten Prozess ist auch time-to-market entscheidend. Investoren und Förderprogramme haben Meilensteine, die zu einem bestimmen Zeitpunkt erreicht werden müssen.

Sind Sie auf start-ups spezialisiert?
Die DNA unseres Unternehmens ist der Innovationsbereich und wir betreuen start-ups direkt, über Förderprogramme oder kooperieren mit Inkubatoren und Acceleratoren. Trotzdem ist es uns wichtig, unsere Lösung und Kompetenz allen Kunden zugänglich zu machen. Somit freut es uns außerordentlich, dass wir mittlerweile auch mittelständische Unternehmen und Konzerne zu unserem Kundenkreis zählen dürfen. Diese schätzen nicht nur unser Know-How, sondern die Dynamik und Effizienz, die wir in ihre Entwicklungsprozesse bringen.

 

Kontakt

Effectum Medical AG
Kirchgasse 11
CH - 4600 Olten

www.effectummedical.com

Kommentare

Kommentar von Eva Botzenhart-Eggstein |

Liebe Frau Candrian, vielen Dank für das spannende Interview. Wir wünschen allen Start-ups einen fruchtbaren Erkenntnisgewinn beim Lesen!

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