1.Weshalb Sie mit Gültigkeit der IVDR Ihr Test-Angebot gegebenenfalls reduzieren müssen
Der EU-Gesetzgeber reguliert mit der EU-Verordnung 2017/746 über In-vitro-Diagnostika (IVDR) erstmals Laboratory Developed Tests (LDT). Damit betreffen die darin gestellten Anforderungen auch Labore, die eigenentwickelte Tests anbieten.
Die meisten dieser Forderungen sind zwar nicht neu, aber die zusätzlichen Anforderungen führen dazu, dass medizinische Labore bestimmte LDT nicht mehr anbieten dürfen. Dies ist nämlich der Fall, wenn ein Hersteller ein vergleichbares CE-IVD-Produkt im EU-Markt anbietet.
Was das für Sie bedeutet und wie Sie diese Problematik umgehen, erfahren Sie in diesem Artikel. Doch widmen wir uns zunächst den Grundlagen.
2. Laboratory Developed Tests (LDT): Was ist das überhaupt?
a) Begriffsdefinitionen
Medizinische Labore untersuchen Proben, die vom menschlichen Körper stammen: Gewebe und Körperflüssigkeiten wie Blut, Urin, Liquor usw. Um aus diesen Proben Diagnosen abzuleiten bzw. für die Diagnose relevante Informationen zu gewinnen, nutzen Labore
- kommerzielle In-vitro-Diagnostika (IVD) oder
- eigenentwickelte Tests, die sogenannten LDT.
Entsprechend definiert die US-amerikanische Zulassungsbehörde FDA den Begriff LDT wie folgt:
„A laboratory developed test (LDT) is a type of in vitro diagnostic test that is designed, manufactured and used within a single laboratory.“
Das Medizinproduktegesetz (MPG) benennt entsprechende Tests als „In-vitro-Diagnostika aus Eigenherstellung“.
„In-vitro-Diagnostika aus Eigenherstellung sind In-vitro-Diagnostika, die in Laboratorien von Gesundheitseinrichtungen hergestellt werden und in diesen Laboratorien oder in Räumen in unmittelbarer Nähe zu diesen angewendet werden, ohne dass sie in den Verkehr gebracht werden. […]“
Die IVDR nennt LDT Produkte, die ausschließlich innerhalb von in der Union ansässigen Gesundheitseinrichtungen hergestellt und verwendet werden, definiert den Begriff aber nicht explizit.
LDT, also In-vitro-Diagnostika aus Eigenherstellung, sind wiederum von den Medizinprodukten aus Eigenherstellung zu unterscheiden. Bei einem Medizinprodukt aus Eigenherstellung würde man von einer Eigenherstellung gemäß Artikel 5 (5) MDR sprechen.
Lesen Sie hier mehr zur Eigenherstellung von Medizinprodukten, zur Definition des Begriffs Eigenherstellung und zur Abgrenzung von der Inverkehrbringung, Parametrierung und Kombination.
b) Wo Laboratory Developed Tests verwendet werden
Wo CE-IVD-Produkte verwendet werden, können alternativ auch LDT eingesetzt werden. Die IVDR beschränkt den Einsatz von LDT jedoch auf sogenannte Gesundheitseinrichtungen und definiert diese wie folgt:
„‘Gesundheitseinrichtung‘ bezeichnet eine Organisation, deren Hauptzweck in der Versorgung oder Behandlung von Patienten oder der Förderung der öffentlichen Gesundheit besteht;“
Medizinische Labore versorgen Patienten bzw. ihre behandelnden Ärzte mit medizinischen Informationen für die Diagnose. Darum verstehen wir entsprechend der Definition medizinische Labore als Gesundheitseinrichtungen.
Jede IVD-Untersuchung in einem medizinischen Labor beginnt damit, dass der Patientin oder dem Patienten eine Probe entnommen wird. Sie endet im Idealfall mit einem Ergebnis, das für die weitere Behandlung nützlich ist. Abb. 2 stellt die üblichen Schritte einer IVD-Untersuchung von der Probennahme bis zum Ergebnis dar. Hinter all diesen Schritten können sich neben CE-IVD-Produkten auch LDT verbergen.

Ein LDT ist somit auch meist kein eigenentwickeltes Gerät. Es ist vielmehr ein Verfahren, das eigenentwickelte Produkte in Teilschritten der Untersuchung verwendet. Für Patienten und behandelnde Ärzte ist es in der Regel nicht ersichtlich, ob die Untersuchung mit einem LDT oder einem CE-IVD-Produkt durchgeführt wird (siehe Abb. 3). Anhand welcher Kriterien man entscheiden kann, ob es sich um einen LDT handelt, erfahren Sie im nächsten Abschnitt.

c) Kriterien, die einen Test zum LDT machen
Ein medizinisches Labor kreiert einen LDT, wenn es
- eigenentwickelte Produkte oder Verfahren verwendet,
- Nicht-IVD-Produkte im diagnostischen Verfahren verwendet (z. B. for research use only, RUO),
- Produkte oder Verfahren kombiniert, die nicht für die Kombination bestimmt sind, oder
- ein CE-IVD-Produkt außerhalb der Zweckbestimmung einsetzt, z. B. wenn Sie
- das Produkt zweckentfremden (off-label use) oder
- das Produkt abändern (Hierzu zählt auch schon, wenn Sie von der Gebrauchsanweisung herkömmlicher IVD abweichen.).
Wenn ein oder mehrere dieser Kriterien auf Ihre Tests zutreffen, gelten in vollem Umfang die gesetzlichen Anforderungen, die im folgenden Kapitel gelistet werden.
3. Gesetzliche Anforderungen
a) Bestehende Anforderungen an Laboratory Developed Tests in Deutschland
Die Inbetriebnahme von In-vitro-Diagnostika aus Eigenherstellung ist aktuell gemäß MPG § 12 nur gestattet, wenn die grundlegenden Anforderungen der EU-Richtlinie 98/79/EG über In-vitro-Diagnostika (IVDD) erfüllt sind. Das bedeutet: Wenn Sie einen LDT anbieten, müssen Sie für diesen den Anhang I der IVDD erfüllen.
Medizinische Labore müssen zudem die Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen, kurz Rili-BÄK, einhalten. Dies ist in der Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) festgelegt. Alternativ lassen sich viele Labore nach dem internationalen Standard ISO 15189 akkreditieren.
Unter einigen Laboren mit LDT kursiert die Annahme, dass die Anforderungen mit der IVDR förmlich explodiert seien. Diese Annahme ist bei genauerem Hinsehen nicht haltbar, denn Anforderungen an LDT und deren Betreiber finden sich seit Jahren u. a. im MPG sowie in der MPSV, MPV, MPBetreibV und durch den Verweis auf die grundlegenden Anforderungen indirekt auch in der IVDD.
b) Neue Anforderungen der IVDR an Laboratory Developed Tests
Die IVDR möchte „hausinterne“ Produkte weiterhin ohne Beteiligung einer Benannten Stelle und ohne eine CE-Kennzeichnung erlauben (Erwägungsgründe 28 und 29 im Vorwort der IVDR). Die IVDR formuliert in Artikel 5 (5) die Voraussetzungen, die für Tests zu erfüllen sind, die ausschließlich(!) hausintern hergestellt und verwendet werden. Diese Voraussetzungen umfassen u.a.:
- Die Herstellung und die Verwendung der Produkte erfolgen im Rahmen geeigneter Qualitätsmanagementsysteme.
- Weder die Rili-BÄK noch die ISO 15189 formulieren Anforderungen an die Entwicklung und die Herstellung von in-vitro diagnostischen Produkten. Um dieser Forderung nachzukommen, können Labore zum Beispiel die Anforderungen aus Kapitel 7 der ISO 13485 anwenden.
- Das Labor der Gesundheitseinrichtung entspricht der Norm EN ISO 15189 oder gegebenenfalls nationalen Vorschriften, einschließlich nationaler Akkreditierungsvorschriften.
- Dies stellt dies keine neue Anforderung dar, da hierfür nach aktuellem Kenntnisstand die Einhaltung der Rili-BÄK ausreichend ist und dies bereits in der MPBetreibV festgelegt wurde.
- Die Gesundheitseinrichtung liefert in ihrer Dokumentation eine Begründung dafür, dass die spezifischen Erfordernisse der Patientenzielgruppe nicht bzw. auf dem angezeigten Leistungsniveau nicht durch ein gleichartiges auf dem Markt befindliches Produkt befriedigt werden können.
- Dies ist sicherlich eine entscheidende neue Anforderung, weil damit sämtliche LDT, für die es ein vergleichbares CE-IVD-Produkt am Markt gibt, keine Daseinsberechtigung mehr haben.
- Die Gesundheitseinrichtung verfasst eine Erklärung, die sie öffentlich zugänglich macht und in der sie u. a. darlegt, dass die Produkte die grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen gemäß Anhang I erfüllen.
- Exakt dies fordert in Deutschland bereits seit Jahren die Medizinprodukteverordnung (MPV § 5) für LDT. Es entsteht durch die IVDR somit keine neue Anforderung.
- Die Gesundheitseinrichtung begutachtet die Erfahrungen, die aus der klinischen Verwendung der Produkte gewonnen wurden, und ergreift alle erforderlichen Korrekturmaßnahmen.
- Auch diese Anforderung schreibt die MPV in § 5 bereits fest.
Sollten Sie feststellen, dass Sie eine der Anforderungen noch nicht erfüllt haben oder sollten Sie Fragen haben, kontaktieren Sie uns. Das Johner Institut unterstützt medizinische Labore bei der Umsetzung aller Anforderungen der IVDR.
c) Anforderungen der FDA an Laboratory Developed Tests
An dieser Stelle lohnt sich ein Blick über den großen Teich. Seit spätestens 2010 macht sich die FDA Gedanken zur Regulierung von LDT, kann diese aber bisher nicht vollends durchsetzen. Sie ist sich der Risiken durch falsche oder ungeeignete Behandlung von Patienten bewusst, die durch nicht ausreichend kontrollierte „Hochrisiko-LDT“ entstehen können. Die bisherige „Enforcement Discretion“ erachtet die Behörde nicht mehr bei allen LDT als adäquat.
Daher hat die FDA 2014 ein FDA Notification and Medical Device Reporting for Laboratory Developed Tests (LDT) als Entwurf veröffentlicht und das Feedback dazu gesammelt. Dieses floss in ein Discussion Paper ein, das die FDA im Januar 2017 veröffentlichte.
Die FDA sieht es demnach als problematisch an, dass ein Test, der von einem IVD-Hersteller entwickelt wurde, anders reguliert wird als ein identischer Test, den ein Labor entwickelt hat. Damit würde der risikobasierte Ansatz ausgehebelt. Die Überwachung solle abhängig vom Risiko erfolgen und nicht abhängig davon, wer den Test entwickelt.
Ausnahmen
Der risikobasierte Ansatz und das Feedback, das die FDA auf ihre „Notification“ erhielt, führten dazu, einige LDT von der Überwachung durch die FDA auszunehmen. Dazu zählen zum Beispiel
- Low risk LDT,
- LDT for rare diseases,
- LDT intended solely for forensic use
sowie weitere Ausnahmen.
d) Zusammenfassung der gesetzlichen Anforderungen
Nahezu alle Anforderungen der IVDR existieren bereits so oder in ähnlicher Form durch das MPG und die zugehörigen Verordnungen.
Der neue Anhang I der IVDR ist im Vergleich zum Anhang I der IVDD zwar länger geworden, aber die zentralen Elemente sind weiterhin
- das Risikomanagement,
- ein sicheres und leistungsstarkes Produktdesign,
- die Gebrauchstauglichkeit,
- die Leistungsbewertung und
- die Software Lebenszyklus-Prozesse.
Eine wesentliche neue Anforderung ist die IT-Security.
Absolut neu und damit der „dickste Brocken“: Existiert ein gleichartiges, CE‑markiertes IVD am Markt, das dem LDT hinsichtlich des Leistungsniveaus entspricht, ist dieses CE-IVD zu verwenden (Artikel 5 (5) d). Die Rechtsgrundlage für die Verwendung des In-vitro-Diagnostikums aus Eigenherstellung ist in einem solchen Fall nicht mehr vorhanden und der LDT darf folglich nicht mehr durch das Labor angeboten werden.
Ausnahmen von der Überwachung für bestimmte LDT (z. B. LDT zur Diagnose seltener Krankheiten), wie die FDA sie praktiziert, sind für den Europäischen Markt derzeit nicht bekannt.
e) Auswirkungen bei anhaltender Corona-Pandemie
Viele medizinische Labore, die PCR-Tests zur Diagnose einer Infektion mit SARS-CoV-2 durchführen, verwenden LDT. Allerdings sind inzwischen auch einige CE-IVD-Kits zur SARS-CoV-2-Diagnose mittels PCR auf dem Markt erhältlich. Ab 26. Mai 2022 sind die Einhaltung der Anforderungen der IVDR verpflichtend und die LDT verlieren gemäß Artikel 5, Abschnitt 5d) ihre rechtliche Grundlage zur Anwendung, wenn die Patientenbedürfnisse auch durch die CE-markierten IVD-PCR-Tests befriedigt werden können. Dies hätte nicht nur einschneidende Konsequenzen für zahlreiche medizinische Labore, sondern – je nach Situation der Corona-Pandemie und verfügbarer CE-IVD-Produkte – ggf. auch einen Einfluss auf die Testkapazitäten.
Unter folgenden Bedingungen könnte ein Labor jedoch die nötige Begründung zur Nutzung eines LDT liefern:
- Die verfügbaren Produkte identifizieren ggf. neue Virusmutanten nicht.
- Die Leistungsdaten des LDT sind besser als die der auf dem Markt erhältlichen CE-IVD-Produkte.
- Es sind nicht ausreichend CE-IVD Produkte auf dem Markt verfügbar.
Da nahezu alle CE-markierten PCR-Tests unter IVDD in Verkehr gebracht wurden, ist abzuwarten, wie viele IVD-Hersteller ihr Produkt auch unter IVDR zulassen werden. (Die Aufwände sind auch für IVD-Hersteller deutlich größer, da die PCR-Kits zur Identifizierung einer SARS-CoV-2 Infektion von „sonstige IVD“ unter IVDD in die höchste Risikoklasse D unter IVDR fallen.) Für den Abverkauf bereits in Verkehr gebrachter Produkte besteht eine Übergangsfrist bis zum 27. Mai 2025.
4. Überwachung durch Behörden
In Deutschland sind die jeweiligen Landesbehörden für die Überwachung der Labore zuständig. Sie prüfen, ob Labore die MPBetreibV einhalten, und damit auch die Einhaltung der Rili-BÄK. Im Falle einer Akkreditierung Ihres Labors gemäß ISO 15189 ist die DAkkS für die Überwachung der Umsetzung der Norm zuständig.
Die Rechte der Mitgliedsstaaten bei der Überwachung von Gesundheitseinrichtungen sind in IVDR Artikel 5 (5) Satz 2 und 3 explizit erwähnt.
5. Fazit
a) Die IVDR stellt konkrete Forderungen an Labore
Obwohl bereits das MPG die Erfüllung der grundlegenden Anforderungen des Anhangs I der IVDD forderte, erreichte man keine flächendeckende Einhaltung dieser Vorgaben.
Die IVDR nimmt Labore nun europaweit einheitlich in die Pflicht.
- Die eigenen Laboratory Developed Tests müssen Labore (weitgehend) konform zu den Anforderungen der IVDR entwickeln, herstellen und überwachen.
- Sie sollen bevorzugt kommerziell verfügbare IVD nutzen und können eigene LDT nur dann anbieten, wenn die Produkte auf dem Markt nicht die erforderliche Leistung bieten.
Die bisherige Praxis war auch schwer nachvollziehbar: Weshalb sollten die regulatorischen Anforderungen an einen Labortest davon abhängen, ob er durch ein Labor oder einen IVD-Hersteller entwickelt wurde?
Viele medizinische Labore sind sich sowohl der bestehenden als auch der neuen Anforderungen nicht vollumfänglich bewusst. Es wird höchste Zeit, sich eingehend damit zu beschäftigen. Ein härterer Wettbewerb zwischen den Laboren sowie Rechtsstreitigkeiten mit IVD-Herstellern sind zu erwarten.
b) Ihre nächsten Schritte als medizinisches Labor
Prüfen Sie den Markt am besten sofort: Suchen Sie nach Produkten, deren Leistungsversprechen für dieselbe Patientenzielgruppe ihrem LDT entsprechen.
Es gibt kein solches Produkt am Markt? Glückwunsch, dann dürfen sie Ihren LDT anbieten! Folgende Vorgaben sollten Sie einhalten:
- Ergänzen Sie Ihr Qualitätsmanagementsystem um Vorgaben für die Herstellung und die neuen Anforderungen der Rili-BÄK 2019.
- Erfüllen Sie die zusätzlichen Anforderungen des Artikel 5 (5) der IVDR.
- Ergänzen Sie die erweiterten Anforderungen des Anhangs I der IVDR.
Über das Starter-Kit des Johner Instituts erhalten Sie Ihre kostenlose Version der Checkliste für den Anhang I der IVDR.
Gibt es jedoch ein äquivalentes Produkt auf dem gleichen Leistungsniveau im Markt, sollten Sie sich dringend eine Strategie für das Jahr 2022 überlegen. Das Johner Institut unterstützt Sie dabei gerne.
- Treffen Sie eine Entscheidung:
- Test nicht mehr anbieten
- Zugelassenen CE-IVD-Test kaufen und verwenden
- Eigenen Test als CE-IVD in Verkehr bringen
- Bei der Entscheidung ‘Test als CE-IVD in Verkehr bringen‘:
- Implementieren Sie ein QMS nach ISO 13485.
- Suchen Sie sich eine Benannte Stelle.
- Erfüllen Sie die weiteren Anforderungen der IVDR (jeweils abhängig von der Risikoklasse des Produkts), erstellen Sie die produktspezifische technische Dokumentation und erklären Sie die Konformität.